Songwriterin Mina Richman im Interview

Mina Richman credit Jan Haller

Es geht also auch ohne Masterplan: Eher beiläufig schlidderte die in Bielefeld ansässige Songwriterin Mina Richman in ihr Metier und präsentiert doch nun mit „Grown Up“ eines der Indie-Pop-Alben des Jahres. Und das darf mit Zuversicht gesagt werden, obwohl das Jahr ja noch lange nicht vorbei ist.

Interview von Ullrich Maurer

Mina Richman ging dabei gar keinen ungewöhnlichen Weg: Sie begann irgendwann eigene Songs zu schreiben, spielte diese dann Live (sofern es ihre Aktivitäten als politisch engagierte Aktivistin denn zuließen), wurde von Freunden gebeten, diese doch mal aufzunehmen, lud sie dann im Web hoch und wurde dabei von dem Label Ladies&Ladys „entdeckt“. Eine erste EP namens „Jaywalker“ auf der Mina verschiedene Stile ausprobierte, erschien 2022 und dass Mina bis jetzt brauchte, das Album fertigzustellen, lag einfach daran, dass es keinen Druck gab, denn ihr Label ließ ihr freie Hand.

Mina Richman verwirklicht ihre Vorstellungen

Das machte sich auch musikalisch bemerkbar, denn Mina und ihre Band hatten so die Möglichkeit, alle ihre musikalischen Vorstellungen mit diesem Album verwirklichen zu können. Dabei spricht Mina als Texterin eine große Bandbreite an persönlichen und politischen Themen an und erarbeitete mit ihren Musikern dann für jeden Song ein passendes musikalisches Konzept, das zusammen mit Produzent Tobias Siebert dann in ein unprätentiöses, zugleich druckvolles wie transparentes, vor allen Dingen aber organisches Soundkonzept eingebettet wurde, welches Mina’s eindringlicher und beeindruckend wandlungsfähiger Gesangsstimme dann viel Raum zur Entfaltung bietet.

Woran liegt es denn, dass „Grown Up“ stilistisch so ungebunden daher kommt?

Mina: Das liegt daran, dass ich und die Musiker sehr viele unterschiedliche Sachen hören. Zum Beispiel Amy Winehouse und die ganzen Soul- und Blues-Sachen – ich kann aber auch ohne Ende Kae Tempest hören – also britischen Rap. Manchmal mag ich auch Indie-Pop. Die Einflüsse kommen natürlich auch von den einzelnen Musikern. Wir haben uns zwar zunächst gedacht, dass wir einen bestimmten Sound bräuchten – haben uns dann aber gesagt ’scheiß drauf – wir machen einfach jeden Song so, wie wir ihn machen wollen‘. Und in der Produktion kann man dann ja immer noch schauen, dass die Stimme überall gleich klingt und wenn im Mix dann halt der eine Song in Richtung Soul-Blues geht, der andere ein treibender Indie-Pop Song wird, dann ein Rap und danach Blues-Rock kommt – dann ist das eben so. Wir wollten jedenfalls keinen Song  beschneiden, weil wir ihn an andere anpassen wollten.

Die Mina Richman Band besteht aus dem Gitarristen Friedrich „Freddy“ Schnorr von Carolsfeld, dem Bassisten Alex Mau und dem Drummer Leon Brames. Keyboards teilen sich dann Alex Mau und Mina selber. Das „Anything Goes Konzept“ welches Mina & Co. hier implementieren, macht dann auch ein Ausloten der Extreme möglich. Zwischen der mitreißend souligen Indie-Pop-Nummer „Nearly To The End“ am Anfang der Scheibe und der beeindruckend altersweisen, reflektierenden Piano-Ballade „The Woman I Am Now“ am Ende ist da vieles möglich, was Musikern, die sich einem bestimmten Genre verschrieben haben eben nicht möglich ist.

Die kreative Freiheit

War es denn der Hintergedanke, bei der Produktion des Albums so die Extreme besser ausloten zu können?

Mina: Ja – gerade auch wegen des Titels des Albums, der ja alle Aspekte des Erwachsen-Werdens, des Frau-Werdens und des Mensch-Werdens anspricht, dachte ich mir, dass es doch nicht einheitlich klingen müsse – denn das ist ja auch kein einheitlicher Prozess. Ich finde es auch schön, dass wir so sehr, sehr vielen Menschen Songs anbieten können. Und wenn sie dann nicht alle toll finden, finden sie vielleicht einen toll, weil das eher in die Richtung dessen geht, was sie sonst hören. Diese Bandbreite ist sehr schön, weil wir ja auch kein Label haben, das sagt, dass alles nach Chart-Musik klingen müsse. Das ist die kreative Freiheit, die wir haben.

Wie fing die ganze Sache mit der Musik denn an? Einen richtigen Masterplan gab es ja nicht, oder?

Mina: Nein – ich habe aber immer schon gesungen – also wirklich immer, sogar schon im Kindergarten. Dann habe ich sehr viel Musik gehört und im Schulchor mitgemacht. Ich habe super viel selbst gesungen – immer versucht alle Songs von Pink auswendig zu lernen – und habe damit auch meine Stimme trainiert. Dann habe ich mal einen Song von Adele in der Küche gesungen und meine Mutter meinte: ‚Oh das ist gar nicht so schlecht. Wie wäre es mal mit Gesangsunterricht?‘. Ich wusste gar nicht, dass man Gesangunterricht einfach so buchen kann, weil ich immer dachte, man müsste etwas Besonderes sein, wenn man Singen lernen möchte. Das habe ich dann aber gemacht.

Irgendwann hat meine damalige Gesangslehrerin eine Anfrage von einer Rock-Coverband bekommen – und dann hat sie gesagt, dass ich das doch machen sollte. Das war dann mein erster bezahlter Auftritt. Wir haben Led Zeppelin, ZZ Top und Janis Joplin gespielt. Während Corona habe ich dann echt viel Zeit alleine verbracht. Ich habe meinen Bachelor in Englisch und Philosophie auf Lehramt gemacht und immer wenn ich Zeit hatte, habe ich die Gitarre oder die Ukulele in die Hand genommen. Ich habe dann hyper-viel Songs gecovert und aber auch geschrieben. Dann kam nach und nach die Idee, dass ich mal Konzerte spielen könnte. Und dann ging es mit dem Label weiter.

Die selbstreflektierte Mina Richman

Viele Deiner KollegInnen machen Musik ja mit dem Hintergedanken sich selbst zu therapieren. In diesem Fall scheint es aber mehr um die Selbstfindung zu gehen, oder?

Mina: Ja – ich denke, die Therapie passiert bei mir meist vor dem Song. Ich denke sehr viel nach und ich glaube auch, dass dann viel Verarbeitung drinsteckt. Ich benutze Songs auch um da meine Gefühle reinzupacken und sie so sicher zu machen. Aber viele Songs sind entstanden aus einem Gefühl heraus, dass ich meinen Frieden zwar schon gefunden habe – aber es noch viel mehr geben wird. Bei dem Song ‚Too Young‘ ist da zum Beispiel noch viel Schmerz drin und die Aufnahmen waren auch hart – was ja klar ist, wenn man bestimmte Passagen immer wieder singen muss.

„Too Young“ ist dabei eine Art zeitgemäßer Blues-Song in dem Mina Richman ihre Seele – unter anderem in einer eloquenten Rap-Passage – offenlegt und ihrem Schmerz und der Wut darüber, wohl zur falschen Zeit oft zu jung gewesen zu sein, freien Lauf lässt – wobei sie  die Sache dann noch mit kämpferischer Note in eine feministische Richtung lenkt.

Mina: Ja – mir hat meine Therapeutin mal gesagt, dass ich sehr selbstreflektiert bin. Vielleicht ist es dann so, dass ich nicht erst im Song merke, was falsch gelaufen ist, sondern vorher schon checke, was für Relikte aus meiner Kindheit und Jugend ich da so gefunden habe. Wir heulen das jetzt mal kurz zu Ende – und dann ist es so.

Einige der Tracks sind allerdings über den persönlichen Aspekt hinaus dezidiert politisch angelegt. „Song Of Consent“ – der älteste Track – etwa greift das Thema der Einvernehmlichkeit auf (übrigens in einem locker/flockigen musikalischen Umfeld, nachdem die Musiker lange suchen mussten) und den Song „Baba Said“ schriebt Mina spontan nach dem Tode von Jina Mahsa Amini, als im Iran die Protestaktionen unter dem Motto „Woman, Life, Freedom“ stattfanden – und ging damit auch auf ihre persischen Roots ein.

Kann man Persönliches und Politisches überhaupt trennen?

Mina:
Ich glaube, dass das eine nicht ohne das andere geht. Ich kann als queere Frau mit Migrationshintergrund gar kein apolitisches Leben führen. Dinge, die Teil meines Seins sind, werden politisiert; sind politische Themen. Insofern kann ich mich dem gar nicht entziehen, wie das vielleicht ein weißer CIS-Mann, der in Deutschland geboren ist, könnte. Der muss sich halt mit Themen wie Sexismus nicht auseinandersetzen, weil er es ja nicht so erlebt. Ich glaube, dass das wie mit der Ehrlichkeit ist. Das Persönliche ist politisch – und überhaupt ist alles politisch. ‚Baba Said‘ entstand einfach aus dem Moment heraus. Ich habe es einfach nicht ausgehalten, nichts zu tun.

Und ‚Song Of Consent‘ ist aus einer Wut heraus entstanden, als mir bewusst wurde, dass ich nicht eine einzige Frau kenne, die nicht irgendwann ein Mal einen sexuellen Übergriff erlebt hat. Also nicht eine einzige Frau – und ich kenne einige Frauen. Ich kenne auch einige Männer, denen so etwas passiert ist. Da gibt es bestimmt auch noch eine Dunkelziffer und ich will das gar nicht als rein weibliches Problem darstellen.

Geht es dann letztlich darum, über die Musik eine Botschaft zu vermitteln?

Mina: Wenn mir Leute zuhören, dann will ich, dass sie solche Dinge auch hören. Ich kann – glaube ich – auch gar nicht anders. Ich überlege mir auch nicht groß, worüber ich schreibe – und will das auch gar nicht kontrollieren. Ich editiere mittlerweile mehr als früher, aber wenn ein Thema aufploppt und ich den Drang verspüre, darüber etwas zu machen, dann lasse ich das einfach passieren. Dass da politische Themen dabei sind ist – glaube ich – dann auch ganz natürlich. Und ich bin natürlich selbst auch ein politisch aktiver Mensch. Ich gehe gleich auf die Demo gegen rechts und hatte meine ersten eigenen Auftritte bei Weltfrauentag-Demos. Ich komme auch aus der Aktivisten-Szene, auch wenn es wesentlich aktivere Menschen gibt als mich und ich mich dann entschlossen habe, das Politische über die Musik zu machen. Es ist also nicht so, dass ich mir so etwas vornehme, sondern es passiert einfach – und muss auch passieren.

Kein Druck von Label

Gilt diese Einstellung eigentlich auch für die Musik?

Mina: Dass ich diese nicht kontrollieren will? Ja – das ist so. Ich schreibe ja die Musik mit der Band zusammen und selbst wenn ich sagen: Spielt das mal so oder so ist es manchmal so, dass ich mich treiben lasse. Es ist auch nicht so, dass ich Texte vorschreibe und dann sage: ‚Lass uns mal überlegen, wie wir den unterbringen‘. Es ist immer die Musik, die das anstößt.

Was ist denn das Wichtigste an dem Album „Grown Up“?

Mina: Ich habe das Glück, dass ich da keinen Druck vom Label habe. Es gibt niemanden der sagt: ‚Jetzt muss das Album aber direkt charten, sonst können wir nicht weiter zusammenarbeiten‘ oder ‚Du musst jetzt virale Tik Toks haben – sonst können wir den Song nicht veröffentlichen‘. Dadurch kann ich einfach dieses Album heraushauen – mit all seinen verschiedenen Facetten – und mich einfach daran zu erfreuen, ein Album gemacht zu haben und jetzt auf Tour gehen zu können.

Das Album „Grown Up“ erscheint am 15.03.24 auf CD, Vinyl und Digital auf dem Label Ladies&Ladys. Im Anschluss daran geht Mina Richman auf Release-Tour und wird später dann auf Festivals spielen.

Weitere Informationen sind auf Mina Richmans Homepage, bei Facebook und Instagram zu finden. (Fotocredit: Jan Haller)

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